Grosstier-Retter: Einsatz mit Gelblicht

Pferderettung
Das Team der Grosstierrettung mit Anton Fürst

von Patrick Gsell - Morgens, 9 Uhr: Meine Stute hat überall Schürfwunden. Sie steht da, Vor- und Nachhand weit auseinander. Wenn sie sich bewegt, schleudert ihre Hinterhand unkoordiniert in der Gegend rum. Sie muss in der Integrationsbox gestürzt sein. Der Tierarzt sagt nach einem kurzen Blick auf die fünfjährige Stute: „Sieht nicht gut aus. Sie muss unverzüglich ins Tierspital.“

Verzweifelt versuchen wir, das Pferd in den Anhänger zu verladen. Keine Chance: Die verletzte Stute kann sich kaum bewegen. Wie soll sie da überhaupt im Hänger stehen können? Jemand sagt: Ruft den Grosstier-Rettungsdienst (GTRD). Die haben für solche Fälle ein Entlastungsgeschirr, sodass das Tier keine eigene Muskelkraft zum Stehen braucht. Zum Glück hat mein Pferd eine entsprechende Versicherung. Mit vereinten Kräften bugsieren wir es in den speziell ausgebauten Anhänger des Grosstier-Rettungsdienstes. Die Stute wird im Netz befestigt und gelangt ohne weitere Strapazen ins Tierspital. Dort attestiert man meiner Stute nur sehr geringe Überlebenschancen. Sie hat es trotzdem geschafft. Denn sie gibt nicht so schnell auf. Sie will leben.

Zwei Jahre nach diesem Unfall stellt der Grosstier-Rettungsdienst im Rahmen der „Zeltstadt des Wissens“ in Winterthur ZH seine Arbeit der Öffentlichkeit vor. Eine gute Gelegenheit, um zu erfahren, was aus den Rettern meines Pferdes geworden ist.

 

Kampf der Grosstier-Retter

Seit zwölf Jahren leisten die Grosstier-Retter unermüdlichen Einsatz. Die Stützpunkte sind über die ganze Schweiz verteilt. Helfen wollen ist gar nicht so einfach: Es hat Jahre gedauert, eine Spezialbewilligung zu erhalten. Während der Fahrt muss eine Erstversorgung im Anhänger gewährleistet sein. Der GTRD legte einen hohen fünfstelligen Betrag für Anwaltskosten aus; so konnte das Rettungsfahrzeug mit gelben Signallichtern ausgestattet werden. Blaulicht bleibt Polizei, Feuerwehr und Ambulanz vorbehalten. Der GTRD finanziert sich durch Spenden. Eine weitere Sonderbewilligung für Fahrten mit 120 km/h auf der Autobahn steht noch aus. Obwohl in der Öffentlichkeit viel Verständnis für Tierrettung vorhanden ist, „muss bei den Behörden noch ein Umdenken stattfinden“, sagt Anton Fürst, Tierarzt im Tierspital Zürich und Ausbildungschef der Grosstier-Retter. Laut Gesetz ist die Feuerwehr für Tierrettungen zuständig. Zweifellos kann die Feuerwehr viel, doch auf Pferderettung ist sie nicht spezialisiert.

Am Stand der Tiersanitäter drängen sich Schüler und Erwachsene trotz Regen dicht an die Absperrung. Gespannt verfolgen sie wie die Retter Verbände anbringen und ein liegendes Pferd in den Transporter schaffen. Man muss schon zweimal hinschauen, um zu erkennen, dass dieses Pferd nicht echt ist. Anton Fürst kommentiert das Geschehen und regt das Publikum zum Mitdenken an: Worauf sollte man bei einem Verband achten? Welche Nummer wählen, wenn ein Tier verletzt ist? Am Ende der Demonstration wird die Absperrung geöffnet. Viele Zuschauer nutzen die Gelegenheit, den besonders ausgebauten Transporter aus der Nähe zu begutachten. Ich bitte Anton Fürst um ein Interview.


Pferderettung
Das Tier-Bergungs- und Transportnetz (TBTN®) wird angelegt.

Herr Fürst, wie viele Tiere konnten Sie diese Woche retten?
Anton Fürst: Vorgestern hatte sich ein Pferd auf der Weide festgelegt und konnte nicht mehr aufstehen.  Dank unseres gut ausgebildeten Teams konnten wir das Pferd wieder aufstellen. Das war ein echter Notfall. Gestern mussten wir zu einem nächtlichen Einsatz unweit der deutschen Grenze. Wir haben ein lahmendes Pferd abgeholt und ins Tierspital Zürich gebracht. Die Situation war zwar nicht so akut, die Besitzerin wollte aber sofort handeln. Wir haben rund 200 Einsätze pro Jahr, davon betreffen etwa 170 ein Pferd.

Welche Einsätze sind besonders schwierig?
Anton Fürst: Wenn Frakturen an langen Röhrenknochen vorliegen.Das Bein muss sorgfältig und stabil geschient werden. Oft haben wir es auch mit Stürzen in Güllekästen zu tun. Ein Pferd da ohne weitere Verletzungen zu bergen, ist keine einfache Aufgabe.

Kommt es vor, dass Sie an einen Einsatzort kommen und denken: Was hat sich der Pferdehalter dabei bloss gedacht?
Anton Fürst: Das kommt häufig vor. Die meisten Verletzungen haben wir bei Pferden in Gruppenhaltung. Vor allem dann, wenn die Pferde ohne Integration zusammengelassen werden. Da sind gefährliche Verletzungen fast schon programmiert.

Sagt man dem Pferdehalter dann seine Meinung?
Anton Fürst: Wir versuchen immer, dem Pferdehalter konstruktiv Wissen zu vermitteln. Wir wollen aufklären, ohne den Mahnfinger zu erheben. Meiner Erfahrung nach geschehen solche Unfälle, weil die Besitzer es einfach nicht besser wissen. Was wir aber noch nie angetroffen haben: verwahrloste Pferde.

 

Fundierte Ausbildung für Helfer

Ein Notfalleinsatz kostet den Pferdebesitzer schnell einmal 1000 bis 2000 Franken. Die Horse Rescue ETA-GLOB bietet für solche Einsätze eine Versicherung an. Für 85 Franken im Jahr werden Rettungs-kosten bis zu 5000 Franken übernommen. Wer für den Grosstier-Rettungsdienst arbeiten will, tut dies ehrenamtlich und muss volljährig sein. Der reguläre Arbeitgeber muss einen Pikettdienst erlauben. Mitarbeiter sollten Freude an Tieren haben und bereit sein, auch am Wochenende Einsätze zu leisten.  Medizinische Kenntnisse sind nicht erforderlich. Die freiwilligen Helfer durchlaufen im Tierspital Zürich eine fundierte Ausbildung, die in verschiedene Module gegliedert ist. Jedes wird mit einer Prüfung abgeschlossen.

Der Grosstier-Rettungsdienst verfügt über speziell ausgerüstete Fahrzeuge. So stehen für Liegendtransporte Luftmatratzen zur Verfügung, die mittels einer Pressluftflasche innert kurzer Zeit gefüllt werden können. Der GTRD entwickelt immer wieder neue Bergungsgeschirre. Das wohl berühmteste Geschirr ist das Tier-Bergungs- und Transportnetz (TBTN®).  Das einzigartige und vielseitige Geschirr kam auch bei einer Stute zum Einsatz. Es eignet sich für Transporte in die Ambulanz, Entlastung in der Klinik, Bergungen am Kran, Helikopter usw.

Der GTRD möchte in der Schweiz und im Fürstentum Liechtenstein einen flächendeckenden Rettungsdienst für in Not geratene Grosstiere anbieten, ähnlich der REGA oder dem Notruf 144 für Menschen. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, dass dieser Rettungsdienst ein echtes Bedürfnis ist. Nicht nur für uns Besitzer, sondern vor allem für die Vierbeiner, die wie meine Stute leben wollen. Sie brauchen im Moment des Leidens gut ausgebildete Leute, die ihnen den Weg ebnen - für eine möglichst schnelle Genesung.

Patrick Gsell, 28, ist Unternehmer und mit dem Vollblut-Virus infiziert. Schuld daran trägt mitunter Barbea, seine fünfjährige Stute, die vier Rennen gewonnen und nun eine hoffentlich erfolgreiche Zuchtkarriere vor sich hat. Was er von anderen Pferdebesitzern am häufigsten zu hören bekommt: "Was? Du hast ein Pferd und reitest nicht?" Das spielt für Patrick keine Rolle: Er ist mittlerweile ein routinierter „Bodenarbeiter“ und steht – wie sich das für einen guten Pferdebesitzer gehört – fast täglich im Stall.

Kommentare zu diesem Artikel

Kommentar von Asheena | 22.07.2011

Sehr intressant. Auch Bodenarbeit kann erfüllend sein::).. Schon das Zusammensein mit dem Pferd, die Pflege etc. ist Enstpannung pur... Nur wer es erfahren hat, kann dies nachempfinden.....

Kommentar von kk | 13.11.2009

Super interesanter Bericht! Wäre cool, wenn einige Leser ihre Erfahrungen im Formum veröffentlichen!

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