Hoffnung zu verkaufen

von Linda von Euw - In Baden-Baden ist Hoffnung käuflich. Dreimal jedes Jahr. Lesen Sie von Bietschritten im Wert eines Kleinwagens und von „North Star“, der seiner Zuchtstätte eine Million bescherte.

Aus dem Lautsprecher dringt ein lautes Knacken. Dann eine Stimme: „Wer gibt mir einen entsprechenden Start mit 30‘000 Euro?“ Vor mir drehen mehrere hunderttausend Franken ihre Runden. Menschen drängen sich um den dreieckig angelegten Führring. In dessen Mitte steht eine grosse Anzeigetafel. Orange leuchtet die Zahl 51 auf schwarzem Hintergrund.

 „She’s to weak“ – die Abstammung allein macht noch keinen Sieger.

Es ist Auktion. Hier in Iffezheim, Baden-Baden wird aber keine Kunst versteigert, sondern Hoffnung. Edle Vollblüter, mit etwas Glück zukünftige Stars internationaler Rennbahnen. Der Preis? Zwischen 900 und einer Million Schweizer Franken. Dreimal jährlich gehen Hunderte der schnellsten Pferde der Welt durch den Ring. Im Frühjahr kommen die Zweijährigen, die bereits ab 1‘800 Franken zu haben sind. Vielleicht lässt sich ein Jungpferd ergattern, das im Spätsommer bereits laufen kann. Im September beträgt das Mindestgebot 4‘500 Franken, die Zukunft wird veräussert: die Jährlinge. Hier geschehen Wunder! „Overdose“ -  als Hengstjährling in England für umgerechnet etwa 4‘000 Franken verkauft, mit krummen Beinen und einem nicht sehr ansprechenden Körperbau blieb bei 11 Starts ungeschlagen und verdiente bis jetzt 260‘000 Franken. Von der Herbstauktion im Oktober, an der Verkäufer ab 900 Franken alles anbieten, vom Fohlen bis zur ausgedienten Zuchtstute, hört man des Öfteren von „Ausverkauf“. 

tl_files/pferdeweb/artikelbilder/auktion.jpgMenschen mit dicken Katalogen in der Hand schauen mit teils Kenner-, teils neugierigen Blicken auf die drahtigen Körper der Pferde, die erstaunlich gelassen durch den Führring schreiten. Nur ab und an höre ich, wie beschlagene Hufe aus der Reihe tanzen, das gleichmässige „klack, klack, klack, klack “ durchbrechen. Ein junger Hengst bäumt sich auf, schwebt für einen Moment mit den Vorderbeinen in der Luft und landet behände wieder auf dem Betonboden. Hier bietet sich nochmals die Gelegenheit, einen letzten Blick auf seinen Favoriten zu werfen. Alle angebotenen Pferde können vorher in ihrer Box besucht werden. Das Stallpersonal holt das Pferd der Wahl auf Wunsch heraus. Wichtig aussehende Engländer lassen sich gerade eine junge Stute vorführen. Sie tauschen einen kurzen Blick, der eine kritzelt etwas in seinen Katalog und kommentiert: „She’s to weak.“  Da kann die Abstammung noch so edel sein, das Pferd muss vor Ort überzeugen.

Das Auktionsgelände ist gepflegt, der Rasen kurz geschnitten, alle Wege sind gepflastert oder geteert. Die Anlage wird nur für die Auktionen betrieben. Die Vollblüter sind in grossen, hellen Boxen untergebracht. Drei Restaurants sichern die Versorgung der Zweibeiner. Versteigert wird in der grossen Auktionshalle mit feudalem Kuppeldach. Ich setze mich auf einen der grünen Plastikstühle und friere. Obwohl es noch freie Sitzplätze hat, stehen etliche Menschen im oberen Bereich oder bei den Eingängen links und rechts.  Die Sitzreihen sind ansteigend angeordnet. Ich habe freien Blick auf den kleinen Auktionsring. In erhabener Position steht der Auktionator mit dem obligaten kleinen Hammer in der Hand.  Mit „The Hammer is oben, ich kann zuschlagen!“, fordert der englisch-deutsch sprechende Versteigerer die Interessenten auf, das Gebot nochmals zu erhöhen. Das Pferd wird währenddessen im Ring geführt, ab und zu hält es an, schaut verwundert in die Menge. Es scheint sich zu fragen, wo es hier gelandet ist. „Niemand mehr?“, abwartend schaut der Auktionator in die Menge. Ein Bieter schüttelt den Kopf. Er steigt aus. „Danke für Ihre Hilfe“, spricht der Versteigerer freundlich. Das Gebot liegt bei 22‘000 Euro. „22‘000 zum Ersten, zum Zweiten und zum…dafür geht es leider nicht“. Die automatische Türe öffnet sich und das Pferd wird aus dem Ring geführt.

„Dafür geht es leider nicht“

Nicht jeder angebotene Vollblüter wird auch verkauft. Die Anbieter, meist Gestüte, private kleine Züchter oder Rennställe, haben die Möglichkeit das Pferd mit „Fallschirm“ anzubieten. Man gibt einen Mindestpreis an (nicht zu verwechseln mit dem Mindestgebot, unter diesem Betrag werden überhaupt keine Gebote entgegengenommen), wenn der Schlusspreis unter dem Mindestpreis liegt, heisst es: „Dann nehme ich das Pferd wieder aus dem Ring“ oder: „Dafür geht es leider nicht.“
Die potenziellen Käufer wissen nicht, ob ein Pferd einen Mindestpreis hat. Mit „Das Pferd ist auf dem Markt“, signalisiert der Versteigerer dann und wann, dass er jetzt zuschlagen kann.

Wenn Du ein Haus und einen Computer hast und immer noch keine Probleme, dann kauf dir ein Pferd!

Es riecht nicht nach Pferden. Die Luft ist klar und kühl. Das Restaurant „Surumu“, benannt nach einem erfolgreichen Rennpferd und grösstes Restaurant auf dem Gelände, ist gut besucht. Viele Menschen sitzen draussen auf unbequemen Bänken an langen Holztischen. Wärmelampen wirken der Kälte entgegen. Die Champagnerbar macht guten Umsatz. Wo es Rennpferde gibt, sind auch wohlhabende Menschen nicht weit. Was nicht schlecht ist – denn wie sagt man so schön? Wenn Du ein Haus und einen Computer hast und immer noch keine Probleme, dann kauf dir ein Pferd! Da kann etwas Geld auf der hohen Kante nicht schaden.

Im Rennsport sind die Besitzer meist keine Reiter, sondern Sponsoren und natürlich Liebhaber der Rasse. Man kauft ein Pferd, bringt es zu einem Trainer und hegt die Hoffnung, dass man den Überflieger im Stall stehen hat. Die meisten Rennpferdehalter geben sich  darauf angesprochen realistisch und antworten mit „ich hoffe, das Pferd  läuft gute Rennen und verdient sich etwas an den Hafer“. Es ist ein teurer Sport, ein Rennpferd im Training kostet mit allen Nebenkosten gut und gerne 2‘000 Franken monatlich. Erschreckend: In der Schweiz finanzieren sich von den 465 eingetragenen Rennpferden nur etwa die Top Ten. In Deutschland sind es aktuell 2‘600 eingetragene Rennpferde, wovon rund 150 rentieren oder sich zumindest selber finanzieren. Wer denkt, hier gibt es das grosse Geld, liegt also meist falsch.

Was fasziniert am Rennsport? „Das Pferd an sich. Natürlich ist das  für mich etwas Besonderes, wenn ich auf dem Siegertreppchen stehe, aber es ist das Lebewesen, das beeindruckt“, so Ulrich Wiegandt, Züchter und Besitzer aus Hannover. Wiegandts Vater liebte die Rennbahn und übte die Kunst des Wettens fast schon professionell aus - zu Hause stapelten sich Jahresbücher, die Auskunft über die Rennleistung jedes jemals in Deutschland gelaufenen Rennpferdes geben. Im Jahr 2000 bekam Wiegandts Bruder, seines Zeichens Rechtsanwalt, einige Rennpferde angeboten, die er ursprünglich nach drei Monaten weiterverkaufen wollte. Die Pferde begannen plötzlich stark zu laufen und Geld zu verdienen – Christian Wiegandt hatte das Rennfieber gepackt. 2005 infizierte der Virus auch Ulrich Wiegandt, der daraufhin ein Hengstfohlen und eine Zuchtstute erwarb. Seit zwei Jahren betreiben die Brüder den Zucht- und Rennstall zusammen.

Ganz anders Markus Mundry: Er wuchs in Neuss, in der Nähe von Köln auf. Vor 26 Jahren erhielt seine Mutter Freikarten für den grossen Preis der Stadtsparkasse Düsseldorf, ihrem Arbeitgeber. Der Funke sprang sofort über, sie besuchten Rennen für Rennen und Markus Mundry lernte reiten. Als er 16 Jahre alt war, ritt und pflegte er während eines Praktikums in einem Rennstall die Vollblüter. Für den Wettkampf war er aber zu gross und zu schwer.
Markus Mundry fasziniert neben dem Laufen der eigenen Pferde vor allem das Drumherum, die verschiedenen Charaktere, wie sie sich mitreissen lassen. „Auf den Auktionen beobachte ich gerne die jungen Pferde, wie sie sich unter Stress verhalten. Und die Bieter – wenn die einmal Blut geleckt haben, können sie keine Auktion verlassen, ohne mindestens ein Pferd gekauft zu haben“, schmunzelt Mundry, der nie auf Auktionen kauft und sich sein Hobby gewissermassen doch noch zum Beruf gemacht hat. Er verkauft auf den Rennbahnen Köln und Baden-Baden Rennsportzubehör, demnächst spezialisiert er sich auf Rennpferdetransporte.

„Der Erfolg eines Verkaufs hängt zum einen vom Pedigree des Pferdes ab und zum anderen vom Pedigree des Verkäufers.“

Ich kenne aber auch jemanden, der jeden Sonntag auf die Rennbahn ging, um zu wetten. Bis er beschloss, dass es viel spannender wäre, auf sein eigenes Pferd zu setzen. Einige Wochen später durfte er sich bereits Rennpferdbesitzer nennen. Sie sehen, viele Wege führen nach Rom.

Ulrich Wiegandts Weg führte heute nach Baden-Baden. Er wollte seine Nachzucht verkaufen. Die hatte zwar Interessenten, aber das Gebot blieb unter dem Mindestpreis. „Dafür geht es leider nicht“, liess der Auktionator verlauten.
Der passionierte Züchter hat es nicht leicht. „Wenn dasselbe Pferd von einem grossen Gestüt angeboten wird, erzielt es garantiert einen höheren Preis. Jemand sagte mal zu mir: Der Erfolg eines Verkaufs hängt zum einen vom Pedigree des Pferdes ab und zum anderen vom Pedigree des Verkäufers.“ Es braucht also viel Geduld und Geld bis man sich einen Namen gemacht hat. Ohne eine Stute, die nicht selbst erfolgreich gelaufen ist und einen renommierten Vater, hat man als Neo-Züchter kaum Chancen auf einen Verkauf. Decksprünge von Vollbluthengsten können 3‘500 oder auch 350‘000 Franken kosten. Hinzu kommen die Aufzuchtkosten. Die meisten Privatzüchter geben das Fohlen nach dem Absetzen (mit sechs Monaten) in ein Gestüt, wo es mit Altersgenossen auf grossen Weiden aufwächst. Bis das Pferd 1,5-jährig ist – also Verkaufsalter – rechnet der deutsche Züchter mit Ausgaben von etwa 14‘000 Franken. Decksprung und Komplikationen nicht inklusive.

Lautet das Urteil der BBAG-Kommission "mangelhaft", tritt der Vierbeiner erst im Herbst an.

Jeder Züchter, der verkaufen will, hofft seinen Jährling an der Yearling Sales in Baden-Baden zu veräussern. Der vergleichsweise hohe Mindestpreis von 4‘500 Franken macht den Aufwand, wie die Fahrt nach Baden-Baden oder das Organisieren einer Führperson, die den Jährling während der Auktionstage betreut, lohnenswert. Die Auktionsgesellschaft BBAG-Sales (Baden Badener Auktionsgesellschaft) verlangt Provision aus dem Verkauf. Die wird dem Käufer mit 6 Prozent und dem Verkäufer mit 1 Prozent belastet. Als Mitglied kauft man sich einmalig ein „Boxenrecht“ für 15‘000 Franken. Das sichert dem Vollblüter einen Platz auf jeder Auktion und dem Verkäufer günstigere Anmeldegebühren.  Wer nicht Mitglied ist, wird bei zu vielen Anmeldungen als Erstes aussortiert. Die Jährlinge müssen für die September-Auktion dem kritischen Blick der BBAG-Kommission standhalten. Lautet deren Urteil „mangelhaft“, wird dem Verkäufer nahegelegt, den Vierbeiner erst im Herbst antreten zu lassen.

Vollblutauktionen haben Tradition in Iffezheim. Die erste Jährlings-Auktion fand im Jahr 1963 statt. Die Auktionen in Deutschland finden internationale Beachtung. Auf den Verkaufsprotokollen stehen regelmässig bekannte Namen wie z.B. „Darley“ - der Rennbetrieb von Sheikh Mohammed Bin Rashid Al Maktoum aus Dubai.

Stellen Sie sich vor, Sie heben die Hand und könnten dafür einen Kleinwagen kaufen.

Unter den Reichen kommt es schon mal zu „Machtkämpfen“. Ich erinnere mich an das grösste Biet-Duell der deutschen Rennpferde-Auktionsgeschichte. Es fand statt im September 2007.  Schon bei 225‘000 Franken stockte mir, und fast allen anderen Menschen im Saal, der Atem. Es wurde schnell geboten. 500‘000 Franken, 750‘000 Franken (je höher der Betrag, desto höher die nächste Bietstufe. Stellen Sie sich vor, Sie heben die Hand und könnten dafür einen Kleinwagen kaufen). Anfänglich ging noch ungläubiges, aufgeregtes Murmeln durch die Reihen. Der Versteigerer musste sich mehrmals mit „pssst, meine Damen und Herren. Ich bitte um Ruhe!“, Gehör verschaffen. Zum Schluss war es mucksmäuschenstill. Der schnellere Bieter signalisierte dem Auktionator mit einem Griff zur Kehle, dass nun genug sei. Der schlug prompt zu: Bei einer Million Franken!  Jährlingshengst „North Star“ war tatsächlich verkauft. Tosender Applaus. Eine Flasche Champagner für den Sieger, die obwohl von teurem Anbau, nur ein Bruchteil des Pferdes kostete.
Überraschend die Coolness des Käufers: So weilte Baron Georg von Ullmann (Gestüt Schlenderhan) draussen, während der von ihm Beauftragte Rüdiger Alles  für den Rekordpreis sorgte.

Ein kleiner Trost für die Normalverdiener: 2004 kaufte sich Scheich Al Maktoum den Jährlingshengst „Quorum“ für eine halbe Million Franken. Die überschaubare Bilanz des in Dubai trainierten und zum Wallach degradierten Jünglings:  vier Siege und zwei zweite Plätze bei insgesamt 13 Starts. GAG (Generalausgleichsgewicht): 87 kg. Kurz: „Quorum“ hat nicht im Mindesten so viel gewonnen, wie er gekostet hat. Die Chancen, dass „North Star“ die Million mit Siegen einbringt, sind gering. Aber Sie wissen ja: Die Hoffnung stirbt zuletzt. Und sonst kann man sich dreimal im Jahr die nächste ersteigern.


Linda von Euw (24) begeistert sich für alles, was mit Pferde zu tun hat und studiert Journalismus an der SAL (Schule für angewandte Linguistik) in Zürich. Sie besitzt die Dressurlizenz sowie die deutsche Besitzer-Trainerlizenz für Galopprennpferde und kümmert sich täglich um die verschiedensten Vollblüter. Allen voran Ramblin Angel, die alles nur kein Rennpferd sein will. Sie hat Linda vor allem eines gelehrt: Unermüdlich die Ursache erforschen und nicht einfach die Symptome bekämpfen.

Kommentare zu diesem Artikel

Kommentar von Turbaine | 08.01.2009
Hi Linda :-)

Danke für den tollen informativen Bericht... bitte mehr davon :-).
War im Herbst 2008 in BB selbst vor Ort. Auktions-Flair und -Atmosphäre kann man mit Worten leider nicht gut genug einfangen: man muss es einfach selbst sehen.
Liebe Grüße aus Old Germany - turbaine

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